Geistig noch absolut fit, aber körperlich zwickt es vor allem beim Laufen doch sehr: Die 87-jährige Seniorin Ingeborg H. lebt nach wie vor selbstständig in ihrer Wohnung von einer Rente in Höhe von 715,38 Euro, aufgestockt von 1.015,47 Euro Grundsicherung im Alter.

Aufgewachsen im 2. Weltkrieg

Ein gutes Jahr vor Kriegsbeginn erblickte Ingeborg H. in der Porzellanstadt Selb das Licht der Welt. Dennoch erlebte sie eine „sehr schöne Kindheit. Ich hatte so eine gute Mutter. Sie hat alles getan, damit es mir gut ging“, erinnert sich die Seniorin zurück. Ihr Vater wurde eingezogen, die Mutter arbeitete auf dem Feld. Sie fuhr von Bauernhof zu Bauernhof, um ihren ganzen Schmuck zu verkaufen, damit sie Ingeborg H., so gut es zu der Zeit möglich war, versorgen konnte. „Ich habe wenig vom Krieg mitbekommen, bei uns wurde nicht bombardiert“, erzählt sie.

Aufbruch ins Leben

Ingeborg H. wollte Schneiderin werden. Mit 15 Jahren zog sie für ein Jahr nach Karlsruhe zu Bekannten, besuchte eine Hauswirtschaftsschule und lernte dort nähen. Anschließend absolvierte sie eine zweijährige Lehre in einer Handschuhfabrik. „Das hat richtig Spaß gemacht, ich habe ein sehr gutes Abschlusszeugnis bekommen“, betont die Seniorin.
Ingeborg H. lernte zu der Zeit den Porzellan-Industriellen Philipp Rosenthal kennen und bekommt eine Anstellung im Verkauf in Nürnberg, in einem der sogenannten Studiohäuser der Firma Rosenthal. Auch in Essen und Düsseldorf befanden sich Studiohäuser, in denen sie zwischendurch ebenfalls arbeitete.

Das verflixte siebte Jahr

1965 lernte sie ihren ersten Mann kennen und zog mit ihm in seine Heimat München. Auch hier konnte sie für Rosenthal arbeiten. Als der erste Sohn kam, blieb sie zu Hause, denn „damals gab es keine Kitas“, erklärt die Rentnerin. Nach sieben Jahren ging die Ehe in die Brüche und sie musste erst einmal allein zurechtkommen. Sie heiratete ein zweites Mal, bekam einen zweiten Sohn. Ihr Mann verdiente anfangs als selbstständiger Verkäufer sehr gut, konnte aber nicht mit Geld umgehen, Ingeborg H. musste für Kredite mit bürgen. Mit Putzen verdiente sie Geld dazu.

Schulden über Schulden

Einblicke in die Finanzen hatte sie nicht. Erst nach einem schweren Sturz mit Oberschenkelhalsbruch, von dem sich ihr Mann nie wieder erholte, seitdem an Parkinson und Alzheimer litt und im Rollstuhl saß, stellte sich heraus, dass er nie in die Rente eingezahlt hatte und einen riesigen Berg Schulden aufgetürmt hat. Ingeborg H. pflegte ihn einige Jahre, bis er starb. Er hinterließ ihr so viele Schulden, die sie heute mit 10 Euro monatlich weiter tilgt, aber zu ihren Lebzeiten nicht mehr abbezahlen kann. „Es war schlimm, plötzlich mit so wenig Geld klarkommen zu müssen, Erspartes hatte ich kaum“, sinniert die Rentnerin.

Engagiert im Hotel

Mit 55 Jahren trat die Seniorin eine Anstellung als Frühstücksbedienung in einem Romantikhotel an. Vor sechs Uhr morgens war sie bereits vor Ort und damit den Lehrlingen ein gutes Vorbild. Damals lag der offizielle Renteneintritt bei 60 Jahren, der Arbeit im Hotel ging sie aber weiterhin nach und pflegt bis heute den einen oder anderen Kontakt zu ihren damaligen Kollegen.

Hält zu Hause die Stellung

Ingeborg H. kann mittlerweile sehr schlecht laufen, ohne Stock geht es nicht mehr. Eigentlich wäre ein Rollator sinnvoll, aber „ich will auf keinen Fall einen Rollator“, sagt sie beherzt und muss selbst lachen. Kleinere Einkäufe kann sie noch selbst erledigen, größere Einkäufe übernimmt ihr Sohn für sie. Bis vor einem Jahr konnte sie noch die Hunde ihrer Bekannten Gassi führen, „mit 80 bin ich noch Auto gefahren“, aber all das geht nun leider nicht mehr. „Ich bin die meiste Zeit zu Hause.“ Aber sie liest gern und telefoniert sehr viel mit Freunden und Bekannten. „Ich habe drei Enkel, zu denen ich leider kaum Kontakt habe“, bedauert sie.

Wünsche vergehen

Der letzte große Wunsch der Rentnerin war es, unbedingt noch einmal nach Nürnberg zu fahren. „Dort hatte ich meine glücklichste Zeit.“ Leider verstarb ihre Nachbarin plötzlich und unerwartet, die sie begleiten wollte. „Der Wunsch wird sich nicht mehr erfüllen, weil ich nun nicht mehr mobil genug bin“, sagt sie mittlerweile ohne Wehmut.

Ein Herz für Rentner entdeckt

In einem Artikel in der „tz“ hat Ingeborg H. 2023 von Ein Herz für Rentner e. V. erfahren und einen Antrag gestellt. „Sie sind so eine große Hilfe für mich“, bedankt sich die Seniorin, die seit sieben Jahren nicht mehr beim Friseur war. Trotzdem bekommt sie von Bekannten Komplimente für ihr Haar. „Ich schneide meine Haare selbst“, erklärt sie, „und drehe Wickler auf“, sagt sie amüsiert. Und mit 80 Jahren konnte sie nur deshalb zum Friseur gehen, weil sie zwei Gutscheine geschenkt bekommen hat.
Ein Herz für Rentner unterstützt die 87-Jährige hauptsächlich mit der Obst- und Gemüsebox, mit der sie 14 Tage auskommt. „Ich habe keine großen Bedürfnisse mehr. Auch das Wegfahren vermisse ich nicht mehr“, erklärt sie. Aktuell ist allerdings ihr Cerankochfeld kaputt. „Wenn mein Sohn das nicht reparieren kann, würde ich mich freuen, wenn ich mich bei Ihnen melden darf“, fragt sie ganz vorsichtig.