87 Jahre, geistig topfit, aber körperlich leider von Dauerschmerzen gequält. Die Seniorin Marion F. lebt von 681,99 Euro Rente, aufgestockt mit 629,61 Euro Grundsicherung im Alter. Zum Leben bleiben ihr 581,99 Euro im Monat.

Schwerer Start ins Leben

Marion F. erkrankte mit sechs Jahren an Lungentuberkulose, ein Antibiotikum dagegen gab es damals noch nicht. So kam sie für ein Jahr in ein Lungensanatorium für Kinder in den Schwarzwald, durfte keinen Besuch empfangen. „Es war unglaublich schwer“, erinnert sie sich heute zurück. Noch dazu tobte der Zweite Weltkrieg. „Ich hörte Kanonen und Bomben, bald gab es keine Lebensmittel mehr, und das Heim musste geräumt werden.“ Für den Weg über Konstanz nach Thüringen brauchten Marion F., ihre Mutter und ihre Schwester zwei Wochen. Völlig ausgehungert kamen sie an. Eine Zeit der Umquartierungen mit 37 Umzügen folgte im besetzten Deutschland. „Ein Zuhause, Freundschaften oder Unbeschwertheit gab es nicht.“

Erkämpfte Schulbildung

In den Kriegswirren wurden die Schulen geschlossen. Mit elf Jahren hatte sie gerade einmal drei Monate die Grundschule besuchen können. Aber innerhalb von drei Jahren holte sie acht Jahre Grundschule auf und schloss mit Auszeichnung ab. Für eine höhere Ausbildung reichte der Grundschulabschluss nicht. Nachdem Mädchen damals für eine Lehre bei der Bank nicht angenommen wurden, nahm sie eine Stelle als Verkäuferin an. Leider ging der Laden nach einem halben Jahr pleite. Das Glück stand auf ihrer Seite und sie bekam eine Ausbildungsstelle in einem Modehaus in der Herren-, Damen- und Kinderkonfektion – als einziges Mädchen und hatte es demnach um ein Vielfaches schwerer als die Jungs. Aber sie bestand sämtliche Prüfungen.

Bildung war Marion F. so wichtig, dass sie nebenbei Abendkurse besuchte, die sie selbst bezahlen musste.

18-Stunden-Arbeitstage

Um die Bildungskurse sowie den Lebensunterhalt ihrer kleinen Schwester und ihrer Mutter zu finanzieren, arbeitete sie 17 bis 18 Stunden am Tag, auch sonntags und an Feiertagen im Büro einer Stahlbaufirma, verantwortete Warenein- und -ausgang, Lohnbuchhaltung, Personalbetreuung von 217 Angestellten. Damals verdiente sie 2,47 DM/h.

Dem Traumberuf auf der Spur

Marion F. fühlte sich beflügelt davon, anderen Menschen Gutes zu tun. Sie wollte unbedingt Heilpraktikerin werden. Um die Ausbildungskosten zu stemmen, wechselte sie in den Außendienst für eine Kurverwaltung in Bad Reichenhall, war in ganz Deutschland unterwegs. Ihre Ausbildung absolvierte sie von Freitag bis Montag, nachts lernte Marion F., tagsüber arbeitete sie – drei lange Jahre. Schließlich bestand sie die Abschlussprüfung und gründete ihre eigene Praxis. Trotz aller Hürden hat sie es geschafft, ihren Traumberuf zu ergreifen. Die Praxis lief gut. „Ich war eine Koryphäe auf meinem Gebiet, die Patienten kamen aus ganz Deutschland zu mir, ich musste sogar Patienten ablehnen, weil die Anfrage so groß war“, resümiert sie stolz. 

Zeit, aufzubrechen

Nach einem Kenia-Urlaub stand für Marion F. fest, dass sie dorthin auswandern möchte. Da war sie 50 Jahre alt. Sie verkaufte ihre Praxis, das meiste Hab und Gut und los ging‘s. „Das Land hat mich quasi gerufen, ich wollte dort als Heilpraktikerin Gutes tun“, erzählt sie. Es stellte sich heraus, dass sie dort keine Arbeitsgenehmigung erhielt.

Sie musste zurückkehren, denn sie hatte am Ende keinen Cent mehr, magerte bis auf 42 kg ab. Ihr Sohn hatte in der Zwischenzeit ihr Konto in Deutschland restlos geplündert und verschwand ins Ausland. Seither gab es keinerlei Kontakt mehr.

Verschlungene Berufswege

Zurück in Deutschland hatte sie das Glück, sofort wieder einen Job zu finden, diesmal als Managerin eines Tenniscourts. Der Tennisbetrieb blühte unter ihrer Leitung auf. Ein normaler Arbeitstag forderte sie von 6 Uhr morgens bis 00 Uhr Mitternacht für 1.000 DM im Monat. Bald fühlte sie sich völlig ausgebrannt, kündigte, startete beruflich neu durch: diesmal als Filialleiterin einer Bäckerei in Kommission. Nach ein paar Monaten quittierte sie hochverschuldet den Job. Ein Zulieferer lud nur 40 Prozent der Waren bei ihr ab, die anderen 60 Prozent vertickte er anderweitig. Als das herauskam, hatte die Senioren bereits Zehntausende DM Schulden.

Nächste Station: zurück zum Außenhandel, wo sie schon einmal gearbeitet hatte. Hier blieb sie bis zur Rente.

Krank und voller Schmerzen

Die einst so kämpferische und energiegeladene Marion F. steht nun völlig allein da, leidet unter rheumatischen Dauerschmerzen und Ohnmachtsanfällen, überlebte einen Herzinfarkt, war zwei Jahre ans Bett gefesselt, hat sich aber wieder einigermaßen aufgerappelt. Sie meistert ihren Alltag allein, braucht für die 500 Meter zum Supermarkt eine Stunde zu Fuß. Alles ist so beschwerlich und schmerzvoll, dennoch erhielt die 87-Jährige kürzlich eine Absage für eine Pflegestufe.

Seit Februar 2024 unterstützen wir die Seniorin, unter anderem mit Zuwendungen für den Hausnotruf, der vierzehntägigen Obst- und Gemüsebox und Kleidung.